Das befreite Potenzial der Urängste
Ich möchte hiermit anregen, bei der konstruktiven Auseinandersetzung mit den Urängsten deren befreites Potenzial in den Fokus zu nehmen. Dafür habe ich Textauszüge aus dem Buch „Die sieben Archetypen der Angst“, von Varda Hasselmann und Frank Schmolke, zusammengestellt. In diesem Buch wird das befreite Potenzial aller Urängste beschrieben. Da nicht jeder dieses Buch hat, halte ich es für wertvoll, Auszüge daraus auf diese Art zugänglich zu machen. Ich empfehle jedem, der sich mit den Ängsten tiefer auseinandersetzen möchte, dieses Buch zu erwerben und damit zu arbeiten.
Der Weg, wie sich die jeweilige Angst mildert und ihr befreites Potenzial mehr und mehr sichtbar wird, ist meines Erachtens eigentlich immer der Gleiche: Er liegt in der Wahrnehmung, Beobachtung, Reflektion - und daraus gewonnenen Handlungsstrategien - sowie liebevollen Annahme der angstinduzierten Emotionen, Gedanken und Handlungsweisen.
Ich halte die bewusste und konstruktive Auseinandersetzung mit seinen Urängsten für sehr lohnenswert und die Arbeit von Varda und Frank dazu als sehr hilfreich. Es geht um psychisches Wohlbefinden und um Ausdruck seelischen Potenzials!
1. Angst vor Unzulänglichkeit – Merkmal: Selbstverleugnung
„Das Potenzial, das hinter der Selbstverleugnung verborgen liegt, …, ist eine erhebliche Kompetenz in den Bereichen des Lebens. Diese Kompetenz wird bei einem schrittweisen Abbau der selbstverleugnenden Angstform mit einer zunehmenden Selbstsicherheit, einer ruhigen Ausstrahlung von Fähigkeit, Wissen und Zuständigkeit sowie einer realistischen Einschätzung der eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten verbunden. Da Selbstunterschätzung und Selbstüberschätzung gleichermaßen Ausdrucksformen dieser Angst sind, vollzieht sich bei einem Abbau des Angstniveaus wie von selbst ein Einpendeln in der Mitte.“
„Und so wird sich auch der Selbstverleugner, sobald er einmal erkannt hat, dass er sich seine zahllosen Unfähigkeiten letzten Endes nur aus Angst eingebildet hat, überschäumen vor Vergnügen an seinen Fähigkeiten, die er jetzt zeigen darf, ohne von irgendjemanden bestraft zu werden. Er kann sogar Lob annehmen, ohne zu erröten oder es schamvoll abzuwehren.“
2. Angst vor Lebendigkeit – Merkmal: Selbstsabotage
„In jeder Form der Selbstsabotage ist eine große Lebenslust als Potenzial gebunden. Und diese kann man Schicht für Schicht wieder aus ihren Fesseln lösen, um sie in eine fühlbar positive, lustvolle Qualität hinüberzuleiten.“
„Diese Lebenslust wird dann auch noch wesentlich freudiger erlebt, als wenn sie selbstverständlich von Anfang an da gewesen wäre.“
„Ein Selbstsaboteur kann lernen, …, sich seines Lebens zu freuen, anderen ihr Vergnügen zu gönnen und ganz ohne besonderen Grund sein Leben und seine Lebendigkeit zu genießen.“
3. Die Angst vor Wertlosigkeit – Merkmal: Märtyrertum
„Die Angst vor Wertlosigkeit … birgt in sich eine kraftvolle, kämpferische Komponente…“
„Lernt ein Märtyrer, für sich zu sorgen, seine Interessen zu vertreten, sich zu verweigern und sich bei Angriffen zu verteidigen, …, lernt er, Kritik anzunehmen und in realistischer Weise zu verarbeiten, wird er sich alsbald neuen Aufgaben zuwenden können.“
„Vielmehr wird die neue Kräftigung des Energiesystems sowohl für ihn selbst als auch für den Mitmenschen in hohem Maße konstruktiv sein. Er wird sich kraftvoll spüren. Er wird sich tatkräftig zum Wohl des Ganzen einsetzen und neue, vielversprechende Ziele verfolgen, ohne dabei sein eigenes Wohl zu verleugnen oder zu vergessen.“
„Seine neue Fähigkeit, eine unzumutbare Belastung abzulehnen oder eine unzuträgliche Aufgabe zurückzuweisen, … dienen dem wachsenden Selbstwertgefühl des Märtyrers in authentischer Weise und bewirken, dass er sich innerlich aufrichtet, zu seiner „Krieger“-Kraft findet und mit ihr nicht nur andere verteidigt, sondern auch sich selbst.“
4. Die Angst vor dem Unberechenbaren – Merkmal: Starrsinn
„Ein Mensch mit dem Hauptmerkmal Starrsinn braucht viel Sicherheit, aber er schenkt auch viel Sicherheit. Lassen seine Angst vor Verunsicherung und seine Befürchtung, verlassen zu werden, nach, gewinnt er damit Vertrauen ins Leben und in die Mitmenschen, entwickelt er sich immer deutlicher hin zu einer Persönlichkeit, die sich durch Treue, Beharrlichkeit und Zuverlässigkeit, vor allem aber durch eine Beständigkeit in der emotionalen Zuwendung auszeichnet.“
„Seine Angst nimmt in dem Maße ab, wie er sich um ausreichend körperliche Beweglichkeit, Entspannung und Lockerung bemüht.“
„… setzt sich eine Souveränität im Umgang mit den Unwägbarkeiten der leiblichen Existenz durch. Deshalb ist in dem befreiten Potenzial auch zusätzlich ein erstaunlicher Anteil an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit zu beobachten.“
5. Angst vor Mangel – Merkmal: Gier
„Das im Hauptmerkmal Gier gebundene Potenzial birgt eine wohltuende Großzügigkeit.“
„Gelassenheit und das Erleben von Lust am Dasein sind eng miteinander verbunden. Zu erkennen, dass der angstvoll erlebte Mangel abgelöst werden kann von einer fühlbaren Erfülltheit, von einer Befriedigung und Zufriedenheit, die es gestatten, im rechten Maß zu geben und zu nehmen, nichts zu übertreiben, in der Mitte zu bleiben zwischen Begehren und Verzicht, ist die saftige Frucht des Bemühens, die Auswüchse der eigenen Angst zu betrachten.“
„Befreite Großzügigkeit ist auch mit Dankbarkeit verknüpft und wirkt auf Mitmenschen nicht nur wohltuend und entspannend, sondern schafft neue Nähe, Verbindungen, Verständnis und gelassenen Austausch.“
6. Die Angst vor Verletzung – Merkmal: Hochmut
„… ein Hochmütiger, der seine Angst zunächst einmal spüren lernt und dann Schritt für Schritt vorsichtig reduziert, wird … eine großartige Entdeckung machen: Je größer die Nähe und die verzeihende Liebe zu seinen Mitmenschen wird, umso feiner werden seine Wahrnehmungen für jene Bereiche, die das Allgemeinmenschliche und das Mitmenschliche überschreiten. Seine Sensitivität, seine Intuition, seine Fähigkeit, sich vom Außermenschlichen und dem Göttlichen inspirieren zu lassen, nehmen von Tag zu Tag zu.“
„… wie die Verletzlichkeit … sich in eine hohe, vibrierende Empfindsamkeit verwandelt. Sie gestattet ihm, die unendliche Bereitschaft des Göttlichen, den Menschen verzeihend anzunehmen, auch auf sich selbst niederströmen zu lassen. Jetzt kann auch der Hochmütige vergeben und verzeihen, ohne dass sein natürlicher Stolz und sein liebevolles Gefallen an sich selbst dadurch behindert werden.“
7. Die Angst vor Versäumnis – Merkmal: Ungeduld
„(Das befreite Potenzial der Angst) vereinbart eine hohe Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, sie effizient zu verwirklichen, Missstände abzuschaffen und ein intensiv lustbetontes Leben zu führen, mit einer königlichen Gelassenheit.“
„Diese Souveränität – auch dem Thema Zeit gegenüber – kommt darin zum Ausdruck, dass der Ungeduldige mehr und mehr Muße findet, die Qualität des Augenblicks wahrzunehmen, und auch Inaktivität schätzen lernt…“
„Das befreite Potenzial eines Ungeduldigen liegt in einer Fähigkeit, geduldig abwarten zu können, bis die Zeit reif ist.“
„Die oft gefährliche und schädliche Waghalsigkeit wandelt sich in eine Haltung dem Leben gegenüber, die sagt: „Wer wagt, gewinnt.“ Aber der Einsatz muss dem möglichen Gewinn entsprechen. Intoleranz macht einem Verständnis für die Unterschiedlichkeit lebendiger Phänomene und deren Berechtigung Platz.“