Vertrauen

Von Varda Hasselmann und Frank Schmolke

Durchsagen aus der kausalen Welt - © Varda Hasselmann und Frank Schmolke
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Vertrauen ist eine allgemein menschliche Fähigkeit, eine Komponente des Menschseins, das sich von der Zutraulichkeit der Tiere, besonders der höheren Tiere, dadurch unterscheidet, dass sie nicht ausschließlich auf Instinkt und der biologischen Bereitschaft gründet, sich anzuschließen oder ein Leittier anzuerkennen. Daher ist die Vertrauensfähigkeit von Menschen differenzierter. Wir wollen hier die vier Grundformen des Vertrauens folgendermaßen charakterisieren.

Die erste Fähigkeit von Menschen ist es, Selbstvertrauen zu entfalten. Sie sind in der Lage, ein Vertrauen in die eigene Berechtigung zu entwickeln, zu sein und so zu sein, wie sie sind.

Die zweite Möglichkeit besteht darin, Vertrauen in die Mitmenschen zu entwickeln und sich danach zu richten.

Die dritte Möglichkeit zu vertrauen basiert auf der Sicherheit, die ein Kollektiv und eine Gesellschaft innerhalb ihrer Zeit gewährleisten. Dieses Vertrauen ist verbunden mit historischen Bedingungen und ist notwendig, damit Menschen sich als Individuen innerhalb ihrer Gesellschaft entfalten können.

Die vierte Form von Vertrauen betrifft transpersonale, übergeordnete Bereiche: ein Vertrauen in das Leben, auf die Existenz und ihre Sinnhaftigkeit, Vertrauen auf die göttliche Ordnung.

Wie ihr seht, ist diese Reihe von vier unterschiedlichen Vertrauensarten auch in einer Weise gestaffelt, dass mit der Entwicklung von Selbstvertrauen bis hin zum Gottvertrauen ein immer größeres Risiko und eine immer tiefere Verunsicherung einhergeht. Denn wenn ein Mensch sich selbst auch noch vieles traut oder zutraut, bedeutet dies doch nicht zugleich, dass er gleichermaßen auf seinen Mitmenschen vertrauen kann, dass er auf die Sicherheiten seiner Gesellschaft vertraut oder gar auf etwas so Vages und Unsicheres wie das Leben, die Existenz oder die göttliche Ordnung.

Wir wissen jedoch, dass jeder Mensch über alle vier Möglichkeiten verfügt. Es kann beobachtet werden, dass bisweilen die eine Form des Vertrauens eine andere ersetzt, allerdings nicht immer zum Vorteil des Individuums. So kann jemand auf eine Gesellschaftsordnung wie den Kommunismus stark vertrauen, aber wenig Selbstvertrauen haben und seinen Mitmenschen gegenüber in höchstem Maße misstrauisch sein. Jemand kann auf seine Mitmenschen vertrauen, nicht aber auf die göttliche Ordnung. Jemand kann sich selbst vertrauen, aber nicht seiner Gesellschaft. So hat jede Seele im Laufe ihrer vielen Existenzen die Möglichkeit, Schwerpunkte zu bilden und auch die Bandbreite von tiefstem Vertrauen, blindem Vertrauen, mangelndem Vertrauen und Misstrauen auszuschöpfen.

Wir möchten in diesem Zusammenhang vor allem über das blinde Vertrauen sprechen, weil es oft verwechselt wird mit einem kindlichen Urvertrauen, wo es sich doch eigentlich um angstvolle Naivität handelt oder um ein mutwilliges Anlegen von Scheuklappen der unangenehmen Realität gegenüber. Wie oft geschieht es, dass jemand vertraut nur aus Angst, ein gesundes Misstrauen zu bekunden. Wie oft kommt es vor, dass sich jemand einem anderen Menschen blind anvertraut, nur um sich selbst nicht vertrauen zu müssen. Wie oft passiert es, dass einer den Regeln und Normen der Gesellschaft vertraut, um sich selbst nicht entscheiden zu müssen! Und noch viel häufiger ist zu beobachten, dass jemand von sich glaubt, er habe ein großes Gottvertrauen und möchte sich dadurch bewusst oder unbewusst den Auseinandersetzungen, die er mit seiner Gesellschaft, seinen Mitmenschen und sich selbst führen müsste, entziehen. 

Das große Thema des Vertrauens ist von seiner Grundenergie her ein priesterliches Phänomen, ein Phänomen der Energie 6, und deshalb spielt die priesterliche Mentalität des Spiritualisten darin auch allgemein eine gewisse Rolle. Doch wissen wir, dass jeder Mensch, sei er jung oder alt, weiblich oder männlich, klug oder dumm, über die Fähigkeit zu vertrauen verfügt, und dass diese Fähigkeit nicht abhängig ist von Erfahrung. Wir sprachen von Risiko und möchten damit andeuten, dass es kein Vertrauen ohne Risiko gibt, im Kleinen wie im Großen. Wenn jemand weiß, was passieren wird oder wenn alles abgesichert ist, braucht er kein Vertrauen. Das sollte sich jeder sagen, der Aussagen über seine eigene Vertrauensfähigkeit macht.

Und das Risiko ist ein Hinweis darauf, dass man mit einer Vertrauensleistung ins Ungewisse tappt, in Bereiche, die niemand mehr beeinflussen kann. Die Reaktionen der Mitmenschen sind unberechenbar. Die historischen Entwicklungen sind vom Einzelnen kaum zu beeinflussen. Was Gott will oder plant, weiß niemand, der am Leben ist. Und so ist Vertrauen stets zugleich ein Vertrauensbeweis. Es ist ein Beweis dafür, dass ein Mensch sich in den Maßen des Vernünftigen und des Möglichen fallen lassen kann, dass er seine Erfahrung zu Hilfe nehmen darf, um das Unerfahrbare in sein Leben hineinzulassen, dass er aufzubauen vermag auf seinen vielen Erlebnissen, die Vertrauen gerechtfertigt haben, um doch die Möglichkeit offen zu lassen, dass er eines Tages bitter enttäuscht werden könnte.

Sicherheit und Vertrauen gehören zusammen wie zweieiige Zwillinge. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar, aber sie sind nicht identisch. Sie können sich mehr oder weniger gut verstehen. Aber sie haben eine gemeinsame Geschichte, die miteinander verknüpft ist. Und in dem Maße, wie der eine Zwilling heranwächst, entwickelt sich auch der andere. Ein Restrisiko bleibt immer vorhanden. Wer nichts riskiert, kann auch nicht vertrauen.

Wie unterscheidet ein Mensch, ob sein Vertrauen blind oder in Maßen gerechtfertigt ist? Wenn man mit den Möglichkeiten seiner Selbsterkenntnis bereit ist, die Frage zu stellen: „Will ich vertrauen? Oder will ich lieber nicht sehen?“ kann man unterscheiden lernen. Denn dies sind zwei Haltungen, die einander sehr ähnlich sind, und doch sind sie von unterschiedlichen Energien getragen. Kann jemand eine aufrichtige Antwort geben, dann ist diese Frage geklärt. Jedoch erfordert sie ein genaues Hinschauen auf die eigenen Beweggründe. Habe ich Angst zu überprüfen? Diese Frage stellt sich beim umfassenden Thema des Vertrauens ebenso wie bei der Mentalität eines Spiritualisten. Will ich wirklich wissen, was die Wahrheit ist? Die Thematik ist rundum priesterlich und erfordert darum eine gewisse Innerlichkeit und Innenschau.