Von Doris, September 2024

Ewiger Lehrer und Schüler

Als ich mit 20 Jahren heiratete, hatte ich in der 2. Nacht nach meiner Hochzeit einen Traum: Ich war alleine auf einem Feldweg, als mir ein alter Mann mit einem Rucksack entgegenkam. Er packte mich freundlich an den Schultern, und ich wachte weinend auf.

10 Jahre später: Ich hatte Nachtdienst auf zwei Etagen in einer Hamburger Klinik. Da mein Stationszimmer im oberen Stock war, hielt ich mich fast ausnahmsweise dort auf, wenn ich nicht gerade gerufen wurde. Plötzlich bin ich ganz unüblicherweise nach unten gegangen, wo ein alter Mann in der Sitzecke im Flur sass und mich aufforderte, mich zu ihm zu setzen. Ich erkannte ihn sofort als den Mann aus meinem Traum. Unvermittelt sagte er zu mir: „Ich werde heute entlassen, komm um 15.00 zu mir. Du solltest Yoga machen.“ Dann ging er wieder in sein Zimmer. Natürlich war ich um 15.00 an der angegebenen Adresse und sah überrascht einen Saal, in dem mindestens zwanzig Yogaschüler von ihm, Robert, unterrichtet wurden. Ich machte einfach mit, und auf einmal kam er zu mir und sagte: „Du wirst Grosses erreichen, mach weiter.“ So begann meine 7jährige Lernzeit mit Robert, in westlich geprägtem Hatha-Yoga und Yoga-Atemtherapie.

Robert war ein Mitglied des holländischen Königshauses, der alle ihm zustehenden finanziellen Zuwendungen ablehnte und fast mittellos mit seinem Rucksack durch einige europäische Länder reiste und unterrichtete. Später erfuhr ich von seinem bewegten Leben als Wehrdienstverweigerer, der mit Rekruten, die ebenfalls den Wehrdienst verweigern wollten, in einfachsten Unterkünften zusammenlebte und sie aktiv unterstützte. Er war ein geehrtes Mitglied im Verein für Moralische Aufrüstung in Caux, Schweiz, und als der "Rote Baron“ in der Umwelt- und Friedensbewegung berühmt und geachtet. Sein Leben mit Yoga begann erst mit 63 Jahren unter der Führung von indischen Yogis und westlichen Atemlehrern, mit denen er auch seine spezielle Atemtherapie entwickelte.

In regelmässigen Abständen tauchte Robert unangemeldet bei mir auf und galt bald als etwas exotisches, aber auch geehrtes Familienmitglied. Wenn er bei mir in Hamburg war, konnte er sehr fordernd sein, was meine Präsenz als seine Schülerin anging. Dazu war er ein strenger Lehrer, der mir nichts durchgehen liess, was nicht „nüchtern und realistisch“ war. Robert machte mich auch mit sehr interessanten Menschen aus Politik und Gesellschaft bekannt. Mit einer Wissenschaftlerin, die er 1981 in meine Familie brachte, war ich bis 2022 eng befreundet. Kurz vor ihrem Tod verriet sie mir, dass Robert ihr damals gesagt hatte, er wolle sie mir vorstellen und sie müsse diese Freundschaft mit mir ein Leben lang aufrecht erhalten.

Ich hatte also immer mit zwei Seiten von Robert zu tun: von seiner „berühmten“ Seite erfuhr ich erst nach und nach, vieles davon erst nach seinem Tod 1998, weil er mit mir nur über sein Leben sprach, wenn ich etwas fragte. Ich kannte vor allem seine Lehrerseite, die mich manches Mal an meine physischen und zeitlichen Grenzen brachte.

Von mehreren Lehrern, die ich hatte, war Robert der erste und wichtigste, der mich auf einen spirituellen Weg brachte. Ich habe ja den Weg der Suche, in diesem Fall wurde ich auf eine bemerkenswerte Weise gefunden und durch meinen frühen Traum  unbewusst vorbereitet. Robert hat mein Leben und meinen Weg geprägt wie kein anderer Mensch und ich empfinde eine grosse Dankbarkeit.

Doris