Seelische und psychische Entwicklung
Wie hängen seelisches und psychisches Wachstum zusammen?
Beide Entwicklungsstränge - sowohl die seelische Reifung als auch die psychische Reifung - folgen bestimmten Gesetzmäßigkeiten und Notwendigkeiten, die jedoch nicht identisch sind. Seelische Reifung lässt sich weder verhindern noch fördern. Sie geschieht wie von selbst dadurch, dass ein Mensch lebt. Und solange er lebt, kann er seelische Reifung, seelische Entwicklung nicht beeinflussen, sondern sie gehört zu den Konstanten seines Lebendigseins wie die Atmung oder der Herzschlag, wie die Alterung und die Veränderung.
Psychische Entwicklung hingegen folgt nicht in gleicher Weise dieser Unerbittlichkeit, sondern ist in höherem Maße der persönlichen Willensbildung, der Bewusstheit, der Interaktion mit anderen Menschen, dem Sich-Aussetzen vielerlei Situationen und der Bereitschaft eines Menschen, sich mit seiner Angst auseinanderzusetzen, unterworfen.
Wir möchten ganz klarstellen, dass ein Mensch, der von Geburt an schwerstbehindert ist und sein Gehirn nicht in einer Weise benutzen kann, dass er seine psychische Entwicklung fordert, unaufhaltsam eine seelische Entwicklung durchmacht und keineswegs in seinem seelischen Reifungsprozess von einer nicht oder kaum entwickelten Psyche abhängig ist. Was bei einem schwerstbehinderten Menschen hervorscheint, ist in jedem Fall sein Seelenmuster. Dies wird oft als Psyche oder Charakter missdeutet.
Eine psychische Entwicklung hingegen verläuft sprunghaft und ist in höchstem Maße abhängig von der Möglichkeit, die ein Mensch in einem Leben vorfindet und nutzen kann, sich an anderen zu reiben und sich mit ihnen auf bestimmte Weise zu einigen. Selbstverständlich jedoch gibt es auch für psychische Reife und ihre Prozesse gewisse Stufen und Bedingungen, die jeder oder fast jeder Mensch im Rahmen seiner physischen Entwicklung, seiner körperlichen Reifungsprozesse durchläuft. Die Psyche eines Dreißigjährigen ist in der Regel weiterentwickelt als die Psyche eines Dreijährigen oder eines dreimonatigen Menschen. Auch hierin kann man leicht gewisse Gesetzmäßigkeiten erkennen. Aber ob ein Mensch seine Psyche über das biologische Maß hinaus befreit von Ängsten, mit Liebe anreichert und mit Konfliktfähigkeit versieht, ist sozusagen eine Zusatzleistung oder ein Zusatzpotential, das nicht jedem zur Verfügung steht.
Wir wollen noch eine extreme Form des Unterschiedes zwischen seelischer Entwicklung und psychischer Reifung ansprechen. Wenn eine Seele sich inkarniert und bereits im Säuglingsalter wieder exkarniert, so ist - so seltsam es euch auch scheinen mag - seelische Entwicklung innerhalb dieser kurzen Lebensspanne in voller Notwendigkeit erfüllt und vorangetrieben, während jedoch die psychische Reifung nicht weit voranschreiten konnte. Nun hat Seele eine Motivation, sich unter allen Umständen und in jeder Befindlichkeit zu entfalten, während die Psyche eines Menschen es oft vorzieht, gerade dies nicht zu tun. Wir verurteilen solches nicht und auch ihr solltet es unterlassen.
Seelische Entwicklung, seelische Entfaltung, seelische Erfüllung betreffen die Einzelseele auf ihrem Inkarnationsweg und damit zugleich die Gesamtheit der Seelenfamilie. Immer aber bleiben diese Formen des seelischen Werdegangs auf das seelische Individuum und seine Seelengeschwister bezogen. Psychische Entwicklung hingegen ist in erster Linie und im Wesentlichen ein Phänomen mitmenschlicher Gemeinschaftlichkeit. Sie ist zu beschreiben als abhängig von der Interaktion zwischen inkarnierten Menschen, zwischen dem Neugeborenen und seinen Eltern, zwischen dem Kleinkind und seinen Geschwistern oder Spielkameraden, zwischen dem Heranwachsenden und seinen Gefährten, zwischen Freunden, Ehegatten und vielerlei anderen Gruppierungen, die alle dazu beitragen, dass der Psyche Spannung und Entspannung, Reiz und Beruhigung zuteilwerden können.
Wird ein Mensch künstlich in Isolation gehalten, verkümmert seine Psyche. Sie kann sich nicht entsprechend ihren Bedürfnissen nach Austausch und Anregung entfalten. Wie wir bereits sagten, könnte aber selbst ein solcher ungewöhnlicher Isolationsvorgang die Entfaltung der Seele fördern und ihr nützen. Aber der Psyche eines Menschen ist dieses Alleinsein nicht zuträglich. Hinzu kommt, dass Psyche, die nicht ohne Körper und dessen Bedürfnisse denkbar ist, leiden kann. Sie kann krank werden, sie kann geschädigt werden, ebenso wie sie gefördert werden kann durch schmerzhafte, unangenehme, quälende Ereignisse, die im Rahmen zwischenmenschlicher Begegnungen stattfinden.
Aber was die Psyche quälen und schädigen kann, ist wiederum der Seele und ihrem davon unabhängigen Wollen dienlich, und wird in dieser Weise als sinnhaft verstanden und innerhalb der seelischen Entwicklung mit Hilfe der Seelenfamilie integriert. Was wir euch mitteilen, dient eurem Verständnis der Tatsache, dass Psyche und Seele, psychische Entfaltung und seelische Entfaltung getrennt betrachtet werden müssen und dass es euch nicht mehr zuträglich ist, diese Entwicklungsstränge zu vermischen oder zu verwechseln. Eurer an Sinnlosigkeitsempfindungen leidenden Gesellschaft ist es von unschätzbarem Vorteil, die Gesetze der Sinnhaftigkeit menschlicher Existenz im Seelischen zu suchen und zu finden und sie abzutrennen von der Empfindungsform, die auf psychischen Gegebenheiten beruht. Mit anderen Worten: Ein Mensch, der seine Seele mehr und mehr als einen Faktor seiner Realität begreift, wird es nicht so schwer haben, in seiner Existenz als Ganzer einen Sinn zu erspüren. Dies aber wird ihm oft schwerfallen, wenn er sich nur auf die Perspektive seiner oft traurigen, sich verloren fühlenden oder geschädigten Psyche beruft.
Die Entfaltungsaufgaben, die wir euch in 35 Schritten beschrieben haben, vollziehen sich weitgehend ohne das bewusste Zutun der psychischen Reifung. Dies mag euch zunächst seltsam und unbegreiflich erscheinen, denn die Aufgaben sind so formuliert, dass sie leicht mit Schritten der psychischen Reife verwechselt werden könnten. Aber - und hier müssen wir noch einmal auf die Gesetzmäßigkeiten psychischer Reifeprozesse zurückkommen - sie sind damit nur sehr lose verknüpft. Wir sprachen bereits davon, dass die Entwicklung einer menschlichen Psyche ein kollektives und gesellschaftliches, interaktionelles Phänomen ist. Hinzu kommt, dass eine psychische Reifung, die über die biologische Notwendigkeit hinausgeht, auch viel mit Intelligenz, mit Einsichtsfähigkeit, mit Konfliktfähigkeit, geistiger Auseinandersetzung und Erziehung zu tun hat. Die Seele hingegen braucht nicht intelligent zu sein oder auf psychische Intelligenz, auf intellektuelle Fähigkeiten zurückzugreifen, um sich zu entwickeln. Deshalb sagten wir: Auch ein schwer hirngeschädigter Mensch, der weder sprechen noch denken kann, oder ein Säugling, der das Sprechen und Denken in der Form eines Erwachsenen noch nicht erlernt hat, vollzieht eine seelische Entwicklung, die anderen Bedürfnissen und Gesetzmäßigkeiten folgt als das, was ihr unter Reifung und Reifsein versteht.
Wenn ihr allein die psychische Entwicklung betrachtet, so kann ein intellektuell zurückgebliebener Mensch, ein schlecht gereiftes oder geschädigtes Gehirn kein reifer Mensch werden. Eure Vorstellung von psychischer Reife bezieht sich vorwiegend auf die Fähigkeit des menschlichen Intellekts, sich selbst mit einer gewissen Kritikfähigkeit betrachten zu können und von seinen Handlungen Abstand nehmen zu können, auf eine Fähigkeit zu begreifen, zu verzeihen und sich selbst und andere Menschen annehmen zu können. All dies tut der sich parallel entwickelnden Seele gewiss gut, aber es fördert sie nicht im Wesentlichen. Das seelische Lernen geschieht auch dann, wenn ein Mensch in einem bestimmten Leben nicht versteht, nicht verzeiht, keine Selbstkritik aufweist, sich selbst und seine Handlungen nicht von außen betrachtet oder aus ganzem Herzen liebt. Allerdings ist es so, dass die Seele immer dafür sorgen wird, dass entsprechend den Inkarnationszyklen seinen jeweiligen Möglichkeiten in jedem Zyklus genügend Leben gelebt werden, die gerade solches wie ein Wachstumshormon beinhalten.
Seelische Weisheit in diesem Sinne verfolgt ihre eigenen Ziele und ist auf einen gut entwickelten Intellekt oder eine mit fortschreitendem Lebensalter sich folgerichtig und gesund entwickelnde Psyche nicht angewiesen. Das Lernen gemäß den 35 Entfaltungsaufgaben vollzieht sich auf Zehntausenderlei verschiedene Arten und Weisen und immer dann, wenn ein seelisches Individuum als inkarnierte Einzelseele einen gewissen Sättigungs- und Kulminationspunkt in der Bearbeitung dieser Aufgabe erreicht hat, wendet es sich neuen Herausforderungen und Zielen zu, die gerade deshalb auch mehrere Leben in Anspruch nehmen, weil sie aus so vielen unterschiedlichen Perspektiven und Ansatzpunkten bearbeitet werden müssen: In einem Leben mit einer unreifen Psyche, im nächsten Leben mit einer reifen, dann wiederum mit einem gut entwickelten Intellekt oder einem wenig entwickelten, mit einer großen Liebesfähigkeit oder einer geringen - all dies trägt dazu bei, dass eine Seele sich in ihrem Erleben anreichert und aus dem inkarnierten Zustand die Lehren ziehen kann, die sie für ihr Weiterkommen im seelischen Sinne benötigt.
Es wird noch nicht ganz klar, ob es noch andere Entwicklungsfaktoren als die Entfaltungsaufgabe gibt.
Über die Entfaltungsaufgaben hinaus erfordert und erfüllt jedes einzelne Leben, sei es kurz oder lang, glücklich oder unglücklich, eine natürliche Auseinandersetzung mit allem, was ein Seelenmuster an Herausforderungen enthält oder bietet. Wie ein Mensch vom Säugling bis zum Greis seinen Mitmenschen gegenübertritt, sich an ihnen an den Gegebenheiten seiner Wirklichkeit entwickelt, ist zur Hälfte seinem Seelenmuster, den Entfaltungsaufgaben, dem Modus, seinen Ängsten und seinem Seelenalter entsprechend gestaltet und zur anderen Hälfte von dem, was seine Psyche im inkarnierten Zustand daraus macht. Das Seelenmuster, die Matrix, ist eine Blaupause für das sich in seinem gelebten Umfeld entwickelnde Potential eines Menschen. Es setzt den Rahmen, die Grenzen und die überaus vielfältigen Möglichkeiten, die ein Mensch auf Grund seines Seelenmusters mit in die Welt bringt vorfindet. Nun kann sich im inkarnierten Zustand die Seele mit der Psyche verbinden und verbünden und sich über Entwicklung der Psyche, wie wir sie beschrieben haben, das heißt in der Auseinandersetzung und im Austausch mit dem Mitmenschen manifestieren und sozusagen Hand in Hand entfalten. In dem Moment, wo eine Körperlichkeit entsteht und sich mit einer Seele verbindet, beginnt auch die Psyche sich zu entwickeln und Seele nimmt Körper und Psyche und auch den Geist eines Menschen in Anspruch, um sich daran zu orientieren und über gelebtes Leben Erfahrungen zu sammeln.
Das Seelenmuster also enthält alle Möglichkeiten, die Psyche nun wird sich daran orientieren, um sich den Umständen entsprechend diesem Potential gegenüber förderlich oder hinderlich zu verhalten. Psyche kann in jeder Art und Weise beeinflusst werden: Durch Vernachlässigung, durch Folter, durch Geborgenheit und Therapie. Der Mensch in seinem schier unbegrenzten Einfallsreichtum weiß mit der eigenen Psyche und der seines Mitmenschen umzugehen und auch verfügt er über instinktives Wissen, wie Psyche und Körper untrennbar miteinander verbunden sind, so dass er über die Psyche den Körper und über den Körper die Psyche manipulieren oder heilen kann.
Weiter mit Psyche 3b: Seelische Entwicklung begrenzt psychische Entwicklung